Strukturpolitik: Industriepolitik

Strukturpolitik: Industriepolitik
Strukturpolitik: Industriepolitik
 
Industriepolitik wurde früher im Gegensatz zur Agrarpolitik und zur Handwerkspolitik als derjenige Teilbereich der Gewerbepolitik definiert, der sich gezielt mit dem Industriesektor beschäftigt. Im neueren Sprachgebrauch wird Industriepolitik auch als Synonym für die gesamte sektorale Strukturpolitik verstanden.
 
 Industriepolitische Ziele
 
Industriepolitik bezeichnet den staatlichen Eingriff in die sektorale Produktionsstruktur einer Volkswirtschaft.
 
Der Staat verfolgt dabei mehrere Ziele: Die finanzielle Förderung der schrumpfenden Kohle- und Stahlindustrie ist eine spezielle Form der Strukturpolitik. Sie soll bestimmte Förder- und Verarbeitungskapazitäten erhalten, um z. B. Autarkiebestrebungen zu sichern (erhaltende Industriepolitik). Gleichzeitig ist Industriepolitik auch Forschungs- und Technologiepolitik: Der Staat unterstützt durch finanzielle Förderung oder direkte Auftragsvergabe bestimmte Industriezweige (gestaltende Industriepolitik).
 
 Marktunvollkommenheiten
 
Ökonomisch wird Industriepolitik mit Marktversagen begründet: Wenn Unternehmen Grundlagenforschung betreiben, so produzieren sie ein öffentliches Gut. Die Forschungsergebnisse werden im Gegensatz zu privaten Gütern nicht abgenutzt, wenn andere Firmen sie ebenfalls nutzen. Es wäre ineffizient, nicht allen die neuen Informationen zugänglich zu machen. Sie sollten frei zugänglich sein und vom Staat gefördert werden. Private Forschung hat zudem oft externe Effekte, d. h., sie nützt auch anderen Unternehmen, obwohl sie nicht die damit verbundenen Kosten tragen. Damit Unternehmen nicht in einem geringeren Umfang forschen, unterstützt der Staat ihre Grundlagenforschung. Anders verhält es sich mit angewandter Forschung: Sie ist eher zu vermarkten und mittels Patenten können Unternehmen andere von der Nutzung der Erfindung auf gewisse Zeit ausschließen. Schließlich liegt Marktversagen vor, wenn die Kapitalmärkte unvollkommen sind. So kann es für kleine Unternehmen schwierig sein, genügend Startkapital zu erhalten; in diesen Fällen kann der Staat mit Gründungshilfen und erleichterten Kreditbedingungen Starthilfe gewähren.
 
 Breites Instrumentarium
 
Zu unterscheiden ist die Binnenprotektion von der Außenprotektion. Mittels der Binnenprotektion stützt der Staat in erster Linie die Produktionsbedingungen bestimmter Branchen im Inland. Das quantitativ wichtigste Instrument sind direkte Finanzhilfen. In Deutschland ist die Montanindustrie der wichtigste Empfänger. Es folgen Steuervergünstigungen (z. B. in Form von Sonderabschreibungen) und Ausfallbürgschaften oder zinsgünstige Kredite.
 
Das Spektrum der Außenprotektion ist breit; generell gehören dazu: Zölle auf ausländische Produkte, Einfuhrkontingente oder die in neuerer Zeit populär gewordenen freiwilligen Exportbeschränkungen. Diese Instrumente dienen allgemein dazu, die inländischen Produzenten vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Ausländische Anbieter könnten, wenn sie z. B. durch niedrigere Löhne günstiger produzieren, die inländische Produktion zum Teil verdrängen. Gegenüber der Binnenprotektion ist die Außenprotektion aber weniger bedeutend. Mehrere internationale Zollsenkungsrunden im Rahmen des GATT und der Welthandelsorganisation (WTO) haben die Zölle erheblich reduziert. Zudem gilt innerhalb der Europäischen Union der freie Verkehr von Waren, Personen, Kapital und Dienstleistungen.
 
 Grundsätzliche ordnungspolitische Bedenken
 
Problem jeder Industriepolitik ist, dass bei Förderung einer Branche automatisch alle anderen Branchen benachteiligt werden. Wird durch Subventionen beispielsweise die Stahlproduktion angeheizt, so wandern volkswirtschaftlich gesehen zu viele Ressourcen in diesen Sektor. Aus ordnungspolitischer Sicht sollten Ressourcen aber dort eingesetzt werden, wo sie den höchsten Ertrag erbringen. Prinzipiell geschieht dies nur, wenn der Markt ungestört funktioniert. Er funktioniert nicht, wenn die Kapitalmärkte unvollkommen sind oder Forschung (insbesondere die Grundlagenforschung) externe Effekte hat. Grundsätzlich stellt Marktversagen eine Rechtfertigung für Staatseingriffe dar. Zu fragen ist aber, ob der Staat über die erforderlichen Informationen verfügt, die eine effizientere Lösung ermöglichen als der Marktprozess. Ist dies nicht der Fall, so spricht man von Staatsversagen. Konkret bedeutet dies, dass der Staat beispielsweise für die Förderung der Biotechnologie wissen müsste, dass dieser Industriezweig in Zukunft ein wichtiger Pfeiler der deutschen Volkswirtschaft sein wird. Zugleich dürfte der Markt es nicht eigenständig schaffen, diese Zukunftsindustrie zu entwickeln. Die Frage lautet also, ob und inwieweit der Staat in den Strukturwandel einer Volkswirtschaft eingreifen darf. Das Beispiel der Kerntechnik zeigt, dass politische Kriterien eine wichtige Rolle bei der Förderungsentscheidung spielen. Grundsätzlich wirkt jede staatliche Unterstützung verzerrend, wenn nicht Marktversagen vorliegt.

Universal-Lexikon. 2012.

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